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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
habe.186 Unrest meinte damit die Türkeneinfälle des Jahres 1478, die den Bauern
eine empfindliche Niederlage bringen sollten. An die 3.000 Bauern hätten sich ge-
gen 20.000 Türken behaupten und damit beweisen wollen, dass sie das Land besser
verteidigen könnten als ihre Herren. Als die Türken anrückten, seien die Bauern
allerdings ein weiteres Mal ehrlos und untreu geworden. Offenbar habe sie der Mut
verlassen, denn von den 3.000 Bauernbündlern seien 2.400 noch vor Eintreffen der
Türken wieder geflohen. Auf die verzweifelten Bitten um Verstärkung seien lediglich
70 Bergknappen und 130 weitere Bauern gekommen.187
Tatsächlich dürften die Osmanen leichtes Spiel gehabt haben, besiegten das hilf-
lose Bauernheer und brandschatzten weite Teile Ober- und Mittelkärntens, schließ-
lich zogen sie durchs Rosental und verwüsteten Südkärnten. Zwei Jahre später, 1480,
war besonders das Lavanttal betroffen, 1483 das Jauntal. Überall baute man damals
die Kirchen zu Wehrkirchen aus, deren spätgotisches Erscheinungsbild heute noch
das ländliche Kärnten prägt.188
Neben Pest, Heuschreckenplage und Türkeneinfällen hatte die Landbevölkerung
Kärntens gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch mit brandschatzenden und vergewal-
tigenden Söldnertruppen des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1443–1490)
zu kämpfen. Als Kaiser Friedrich III. aufgrund finanzieller Nöte seinen potentiellen
Geldgeber, den früheren Erzbischof von Gran (Ungarn) als Erzbischof von Salzburg
durchsetzen wollte, kam es zum Widerstand des amtierenden Erzbischofs, Bernhard
von Rohr (1466–1481). Unrest bemerkt über ihn, dass er »nach lust seynes leybs mer,
dann nach nutz des bistumb lebt«189.
Der Salzburger Erzbischof holte den ungarischen König und mächtigsten poli-
tischen Konkurrenten des Kaisers, Matthias Corvinus, ins Land, um das Erzbistum
vor den kaiserlichen Truppen zu schützen. Im Gegenzug sollten seinen Truppen alle
Salzburger Festungen und Städte in Kärnten und der Steiermark geöffnet werden.
Corvinus zog 1480 nach Kärnten und nahm reihum Friesach, Althofen, Gmünd
und die in diesen Gebieten gelegenen Salzburger Burgen ein. Friedrich III. schickte
daraufhin kaiserliche Truppen, die ihrerseits Salzburger Besitzungen, vor allem im
Lavanttal, besetzten. Die ungarischen Söldner begannen nun, das gesamte Land zu
bedrohen. »Wer nicht mit Geld huldigte, den beraubten sie und verheerten seinen
Besitz.«190 Kaiserliche Untertanen mussten Brandsteuer zahlen, damit ihr Hab und
Gut von den Ungarn nicht angezündet wurde. Der Zorn der Landbevölkerung auf
die Obrigkeit entzündete sich abermals an der Reaktion vieler Herren, die in ihre
186 Ebd., 94.
187 Ebd., 96.
188 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 598–602.
189 Unrest, J.: Österreichische Chronik (1957), 102.
190 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 612.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353