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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
der Religionsfrage verzichtete, keinerlei antikatholische Äußerungen enthielt und
auf die Verdienste der Stände bei der Landesverteidigung hinwies, war somit eine
hochpolitische Angelegenheit.«196
Was daraus resultierte, war glatte Geschichtsfälschung. In Christalnicks bzw. Me-
gisers Annales weichen nicht nur die konkreten Jahreszahlen der einzelnen Türken-
einfälle von jenen Unrests ab, sondern auch die Schilderungen einzelner Ereignisse.
»Sie erzählen, die Türken wären durch Kroatien und Krain gekommen und hätten
unter unmenschlichen Grausamkeiten das Land bis Laibach verwüstet ; ein zweiter
Haufen fällt in die Steiermark ein, ein dritter nach Kärnten. Der Markt Tarvis wird
erstürmt, die Einwohnerschaft getötet, in der Schilderung der Greuel und der Lei-
den des Volkes stimmen Megiser und Christalnick genau überein. Sie können sich
an Wiederholungen dabei nicht genug tun und versteigern sich zu der Abwegigkeit,
die Türken hätten sich die Gedärme der Erschlagenen um den Leib gegürtet.«197
Auffallend deutlich werden die militärischen Gegenmaßnahmen beschrieben und
die adeligen Anführer dabei besonders positiv hervorgestrichen. In einem gewaltigen
Gegenschlag bei Villach hätten sich 15.000 christliche Gefangene aus den Schlingen
des osmanischen Heeres befreit und den Feind in die Flucht geschlagen. Vor allem
Bauern hätten sich dabei besonders ausgezeichnet, insgesamt seien 7.000 tote und
10.000 verwundete Türken nur 6.000 toten »Abwehrkämpfern« gegenübergestan-
den. Der osmanische Pascha sei von einem Kärntner Adeligen (Rudolf Khevenhüller
oder Leonhard von Kollnitz) höchstpersönlich getötet worden.198
Diese imposante Schlachtbeschreibung wurde von den Historikern als reine Fik-
tion entlarvt, deren Ziel die Heroisierung der Stände (bzw. bestimmter Adelsfami-
lien) und der Kärntner Landbevölkerung war. Die Überlieferung Megisers wurde
von einer Reihe von Historikern der folgenden Jahrhunderte ungeprüft übernom-
men und z. T. noch erheblich ausgeschmückt, wie noch im 19. Jahrhundert die
»sensationell übersteigerte Erzählung« des Geistlichen Philipp Vonend, »der die
Türken das Kloster erstürmen, alle Flüchtlinge und die Mönche durch das Schwert
der Osmanen umkommen läßt. Der Kleriker Vonend wollte wohl auch auf Märtyrer
seines Standes verweisen können.«199 Zeitweise hat man durch die Addierung der
Unrest’schen Jahresangaben mit jenen bei Megiser sogar zehn statt fünf Türkenein-
fälle angeführt.200
Auch im deutschnationalen Geschichtsbild der Zwischenkriegszeit werden die
Türkeneinfälle drastisch geschildert und die Barbarisierung der feindlichen Ein-
196 Schlegl, I.: ›Türkenbilder‹ (2013), 264.
197 Neumann, W.: Die Türkeneinfälle (1985), 173 f.
198 Ebd.
199 Ebd., 179.
200 Ebd.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353