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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Auch hier begegnen wir – anders als beim Kleriker Unrest – einer Heroisierung des
Bauernstandes, der von den Eliten unterdrückt und betrogen wurde :
Der Bund war trefflich organisiert und hätte, wären die Widerstände nicht allzu groß gewe-
sen, Ersprießliches für den Bauer [sic !] den ›armen Mann‹ leisten können. […] Natürlich
witterten der Kaiser und der Adel in dem Bauernbunde eine Auflehnung gegen die Obrig-
keit und waren voll Entsetzen über die kraftbewußte Bauernschaft.209
Der Autor idealisiert den Bauernbund als das »erste Besinnen auf Menschenrechte«210.
Das Urteil des Autors spiegelt die Polarisierung zwischen Kärnten und Wien, zwi-
schen dem armen, unterdrückten Land und dem unzuverlässigen Zentralherrn wi-
der :
Statt daß nun der Kaiser als Landesvater das arme Land in seinen Schutz genommen hätte,
dem schrecklich zugerichteten Bauernstande hilfreich beigestanden wäre, nahm er Rache
am Bauernbunde und ordnete die Verfolgung der Bauernführer an. […] Die Bauern waren
eben nur zum Dulden, Tragen und Schweigen da.211
Während also beim Geistlichen Unrest die Bauern scharf verurteilt und bei den Pro-
testanten Megiser und Christalnick die ständischen Eliten heroisiert werden, sind im
deutschnationalen Geschichtsbild die einfachen Bauern die Helden. Diese Tendenz
spiegelt auch die Kärntner Erzähltradition wider, in der die Türkenzeit abseits der
offiziellen Geschichtsschreibung eine wichtige Rolle spielt. Zahlreiche Sagen schil-
dern Begebenheiten im Kontext jener Ereignisse. So erzählt bspw. die Sage von der
Belagerung der Hollenburger Brücke, dass der mutige Bauer Pekouz den türkischen
Pascha erschossen habe.212 Ein anderer Bauer habe die Türken, als diese ihn zwan-
gen, ihnen den Weg nach Zell zu zeigen, zu einer tiefen Schlucht geführt, in die die
türkischen Scharen stürzten.213 Von den Trebesinger Bauern erzählt man sich, wie sie
die Türken in eine Falle gelockt und erschlagen hätten,214 ähnlich wird es von den
Bewohnern und Bewohnerinnen in Eisenkappel geschildert, deren Damm zerbarst
und die Türken ertränkte.215 In Gradenegg seien die Bauern in eine Kirche geflüch-
tet, in die sich die Türken über ein Loch unter der Tür Zutritt verschaffen wollten,
209 Ebd.
210 Ebd., 71.
211 Ebd., 73.
212 Bezeichnenderweise trägt diese vom Sagenbuch Georg Grabers übernommene Sage bei Perkonig den
Titel »Brave Bauern«. Perkonig, J. F.: Brave Bauern (1942), 195 f.
213 Ebd., 195.
214 Perkonig, J. F.: Der Überfall (1942), 194.
215 Perkonig, J. F.: Das Strafgericht (1942), 196 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353