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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis272
Heimat, Brauchtum, Natur und Geschichte. Es wurde 1942 vom Reichsstatthalter in
Kärnten genehmigt und 1943 bereits ein zweites und drittes Mal aufgelegt. Schon ein
Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, woran man sich im Kärnten jener Zeit erinnerte :
Die Geschichte Ein Wandervolk im Kampf erzählt von der siegreichen Schlacht der
Germanen gegen die Römer bei Noreia, Der Einritt des Herzogs in Karnburg bewahrt
das Gedächtnis an die Fürstensteinzeremonien, Peter Wunderlich und der Bauernbund
erinnert an den bäuerlichen Widerstandsgeist und Die Türken fallen ins Land und der
Bauernbund zerbricht an das gewaltsame Ende dieses Widerstands.224 Auf diesen Text
folgt eine kurze Passage aus Jakob Unrests Schilderung der Heuschreckenplage, die
anschließenden vier Geschichten225 erzählen jedoch schon von den Franzosenkrie-
gen. Über die dazwischenliegenden 300 Jahre herrscht Schweigen.
Auch im schon mehrfach erwähnten Sagenbuch Georg Grabers finden sich zahl-
reiche Türken- und Franzosensagen, hingegen aber nur eine Erzählung, die Be-
zug auf die Epoche des konfessionellen Absolutismus nimmt. Unter dem Titel Die
Erstürmung des Klosters Millstatt erinnert sie an den Millstätter Bauernaufstand von
1737226 und eine Episode um den kaiserlichen Hofnarren Paul Zopf. Bereits der Ein-
stieg in die Erzählung lässt die Sympathien deutlich werden :
Es war in den Dreißigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts, als die Jesuiten des Klosters
Millstatt ihre Untertanen schwer bedrückten. Die Bauern mußten Frondienste leisten, die
Felder bebauen, auf die Jagd gehen und auch die schweren Arbeiten im Kloster verrichten,
waren also hart geplagt, während die Mönche ein herrliches Leben führten.227
Die Erzählung schildert weiter, wie sich zwei Bauern auf den Weg machen, um beim
Kaiser in Wien Beschwerde einzulegen. Dort geraten sie an den Hofnarren Paul
Zopf, der sich als kaiserlich Bevollmächtigter ausgibt und den Bauern Hilfe zusichert.
Zopf reist tatsächlich nach Kärnten und zettelt einen Bauernaufstand an, in dem
die Jesuiten (»Mönche«) großteils erschlagen werden und das Kloster zerstört wird.
Sowohl der Hofnarr als auch die Rädelsführer unter den Bauern werden in weiterer
Folge gefangengenommen und hingerichtet.228
Ungeachtet des historischen Kerns der Erzählung fällt auf, dass hier zwar die Un-
terdrückung durch und der Widerstand der Bauern gegen die Jesuiten thematisiert
wird, der konfessionelle Kontext aber ausgespart bleibt. Konfliktanlass ist nicht der
Bekehrungszwang, sondern die Abgabenlast.
224 Perkonig greift bei all diesen Geschichten auf Traunig, A./Türk, F.: Erzählungen (1926) zurück.
225 Die Franzosen ziehen ein, Johannes Baptist Türk, Anton Warscher, ein Held von 1809 und Ein junger Held.
226 Zu den historischen Hintergründen Koller-Neumann, I.: Einschreibbewegung (1982), 71–73.
227 Graber, G. (Hg.) : Sagen aus Kärnten (1941), 348.
228 Ebd., 348 f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353