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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
das wesentliche ist, daß wir dem, was wir in unserer Zeit, als unser Ideal erkannt haben, treu
bleiben – auch durch Leid und Not hindurch ! – Die Zeit ist vielleicht nicht mehr ferne, in
der auch wir in unserem arm gewordenen und innerlich zerrissenen Deutschland Gelegen-
heit haben werden, für unsere Ueberzeugung zu leiden, denn auf der einen Seite droht der
religionsfeindliche Bolschewismus, auf der anderen Seite der Katholizismus.
Aber es ist vielleicht interessanter und wichtiger in der lebhaft bewegten Gegenwart zu
leben, als in der ›Behaglichkeit‹ des vergangenen Jahrhunderts – jedenfalls hat jetzt jeder
einzelne Mensch die Aufgabe in seinem kleinen Kreis mitzuwirken, daß es anders u. besser
wird. Und vielleicht hilft es uns, wenn wir sehen daß auch unsere Vorfahren gekämpft u.
gelitten haben !235
Die Gefährdung ihrer Ideale sieht die Autorin also nicht im aufsteigenden National-
sozialismus, sondern in Bolschewismus und Katholizismus. Damit ist der ideenge-
schichtliche Hintergrund des Romans bereits angedeutet. Eine gewisse antiklerikale
Stoßrichtung lässt sich darin in der Tat wiederfinden, wie nun näher ausgeführt wer-
den soll.
Während der erste Teil des Buches Die Kinder des Herrn Andreas. Eine Kärntner
Familiengeschichte aus der Zeit der Gegenreformation bereits 1931 erschienen ist, han-
delt es sich bei Glaubensstreiter aus dem Jahr 1946 um eine neuerliche Auflage dieser
Erzählung, die nun um die wesentlich kürzere und eine Generation später angesie-
delte Erzählung Heilige Ketzerin ergänzt wurde. Die Hauptfigur aus dieser Erzäh-
lung, Susanne Zenegg, stammt aus derselben Sippe und wird mit den Hauptfiguren
der ersten Erzählung im Laufe der Handlung verknüpft.
Die Handlung beginnt im Jahre 1571 und erzählt von »den Kindern des vorneh-
men und reichen Gewerken und Ratsbürgers Herrn Andreas Zenegg«236, der als
Bürgermeister von St. Veit an der Glan das Ringen der Stände um Religionsfreiheit
in jenen Jahren miterlebt und dessen Familie nach 1578 die sich zunehmend ver-
schlechternde Situation für Protestanten und Protestantinnen in Kärnten am eige-
nen Leibe miterleben muss.
Zunächst jedoch schildert die Autorin das mehr oder weniger unbeschwerte Fami-
lienglück der »Kinder des Herrn Andreas«, allen voran der beiden Schwestern Maria
und Ursula Zenegg, wobei Letztere als selbstbewusste und streitbare Frau charakte-
risiert wird. »Ja, sie lehnte Demut bewußt ab als Schwäche, die, wie sie glaubte, von
der katholischen Kirche aus Machthunger in der Menschheit künstlich gezüchtet
worden war, und die nichts wußte von der Kraft der evangelischen Freiheit.«237
235 Ebd.
236 Zenneck, E.: Glaubensstreiter (1946), 11.
237 Ebd., 42.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353