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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis276
Die überzeugt evangelische Familie kann ihren Glauben noch ungestört leben
und es sich sogar leisten, sich über die katholische Kirche bzw. ihre Vertreter lustig
zu machen. So lässt die Autorin den Hans, einen Sohn des Herrn Andreas, alle Fa-
milienmitglieder zum Lachen bringen, als er erzählt,
›der Bischof von Lavant habe, da manche katholischen Pfarrer es bezüglich ihrer Pfarr-
köchinnen etwas bunt getrieben, einen Erlaß herausgegeben, der den Pfarrern verbot,
weibliche Personen unter vierzig Jahren im Hause zu haben. Daraufhin habe der Pfarrer
von St. Leonhard seine 38jährige Köchin weggeschickt und zwei zwanzigjährige Mädchen
eingestellt.‹238
Von Auseinandersetzungen zwischen Pfarrbevölkerung und Pfarrer im Hinblick auf
die Beichtpflicht wird in folgender Passage erzählt, wo es heißt,
der neue katholische Pfarrer von Malpurgeth habe die Ehefrau des Oheims Paul, die Ka-
tharina Zeneggin, vorladen lassen, weil sie zu Ostern nicht zur Ohrenbeichte gekommen
ist. Sie aber habe den Pfarrer wissen lassen, sie könne nicht kommen wegen wichtiger Ar-
beiten in ihrem Krautgarten. Der Pfarrer habe dies an den Bischof von Aquileia berich-
tet. Dieser aber habe den Bericht zurückgehen lassen und etwas lateinisch an den Rand
geschrieben, was zu deutsch etwa heißt : ›Pfleget Eure Schäflein also eifrig, wie sie ihrer
Krautköpfe pfleget, so werden sie in Herden zu Eurem Beichtstuhl kommen.‹
Nun versucht der Pfarrer seinen Ärger an den Zeneggischen auszulassen. Dem Oheim
Paul hat er den Beichtzettel zurückgeschickt, den dieser aus Paternion zugebracht hat, wo
er angeblich gebeichtet haben will. Der Zettel sei entweder gefälscht oder gekauft. Der
Oheim Paul aber lacht und wartet ab, was nun kommt.239
Die hier angedeutete Trotzigkeit und vermeintliche Leichtigkeit im Umgang mit
dem kirchlichen und landesfürstlichen Gewissenszwang wird aber im Laufe der Er-
zählung zu einer bedrückenden Alltagslast. Mit den »täglich sich mehrenden Über-
griffen der Jesuiten in politischen Dingen«240 wird auch das Klima beengender. Da-
mit ist zugleich auch der »Hauptfeind« der »Glaubensstreiter« identifiziert. Die
Methoden der Jesuiten seien hinterhältig, profitierten sie doch »durch allerlei be-
unruhigende Gerüchte, an deren Verbreitung sie selbst heimlich mitarbeitete[n]«241.
So schildert die Erzählung, wie ein jugendliches Geschwisterpaar vom Hofkanzler
des Erzherzogs ins Schloss Frauenstein bei St. Veit »eingeschleust« wird, um dort
238 Ebd., 88.
239 Ebd., 315.
240 Ebd., 117.
241 Ebd., 188.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353