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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis284
In diesem Narrativ, dem sich auch kirchliche Geschichtsschreiber wie der spätere
Domdechant Johann Unterluggauer261 in seinem 1913 veröffentlichten Büchlein
Kärnten in den Freiheitskriegen 1797–1813 bedient, werden auch die herrschenden
lokalen Eliten wie Franz Graf von Enzenberg oder Peter Graf von Goëß überaus
wohlwollend erwähnt. So habe unter Enzenbergs Führung die von Napoleon einge-
setzte Zentralverwaltung »das Land durch ihr kluges und mannhaftes Auftreten vor
manchem überflüssigen Opfer [bewahrt]«262 und Goëß als Landeskommissär und
späterer Landrechtspräsident des Grazer Guberniums »mit rastlosem Eifer, großer
Bescheidenheit und bestem Erfolge«263 zwischen der Bevölkerung und den durchzie-
henden Soldaten vermittelt.
Auch großzügige Wohltäter wie Kardinal Franz Xaver Altgraf von Salm-Reiffer-
scheidt-Krautheim, der Gurker Bischof jener Jahre, werden in dieses Narrativ inte-
griert. Es ist unschwer zu erkennen, welche Absicht hinter diesem Narrativ steht :
Die Förderung des Wir-Bildes, des regionalen Patriotismus, der ohne Anspruch auf
historiographische Distanz zum Geschehen den Beschreibungen voran gestellt wird.
Möge die Erinnerung an die leidvolle und ruhmreiche Vergangenheit in den Herzen des
Kärntner Volkes die Liebe zur Heimat und zum Vaterlande zur unauslöschbaren, hello-
dernden Flamme anfachen ! Die Zeit der Freiheitskriege ist ein Ehrenblatt in der Ge-
schichte unseres Landes, auf das wir Kärntner mit Recht stolz sein können.264
Den Patrioten gegenüber stehen die französischen Widersacher, allen voran Na-
poleon als »Zwingherr Europas«265, als »Schlachtenkaiser«266, dessen Soldaten als
»Quälgeister«267 bezeichnet werden, während das heimische Volk zur »Abschütte-
lung des verhaßten Joches des fremden Eroberers«268 aufgerufen wird.
Diese klare Schwarz-Weiß-Zeichnung erhält aber deutliche Grauabstufungen,
wenn es um die Beurteilung der französischen Verwaltung in Oberkärnten geht. So
ist bspw. in Widmanns Heimatbüchlein von 1923 die Zwiespältigkeit dieser Episode
deutlich zu spüren. Marschall Marmont, der an der Spitze der französischen Militär-
behörden in Kärnten stand, wird dort als »ein tüchtiger und verständiger General«269
261 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 98.
262 Unterluggauer, J.: Kärnten in den Freiheitskriegen (1913), 10.
263 Ebd., 11.
264 Ebd., 2.
265 Ebd., 22.
266 Ebd., 1.
267 Ebd., 19.
268 Ebd., 34.
269 Widmann, H.: Kärntner Heimatbuch (1923), 130.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353