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285Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
bezeichnet. Die nun folgenden Schilderungen der französischen Reformen lassen
eine grundlegende Sympathie des Autors mit den Änderungen erkennen :
In religiöser Hinsicht herrschte vollkommene Toleranz, zwischen Katholiken und Protes-
tanten wurde vor dem Gesetze kein Unterschied gemacht. […] Besonders wohltätig erwies
sich die neue Herrschaft bei der Regelung des Untertanenwesens. Jedes Privilegium (Vor-
recht) der Grundherrn wurde aufgehoben. Alle Abgaben an sie wurden ermäßigt. Wenn ein
Grundherr Rückstände eintreiben wollte, so durfte er das nicht mehr selbst tun, sondern
mußte seine Forderungen beim Hypothekenamte in Villach anmelden. Auch die Gerichts-
barkeit über ihre Untertanen war ihnen entzogen. So bekamen die oberkärntischen Bauern
auch etwas zu spüren von dem Freiheitsgeist, dem die große französische Revolution die
Tore in die Welt geöffnet hatte.270
Auch den wirtschaftlichen Aufschwung in Villach begrüßt der Autor und schlussfol-
gert : »So hatte also Oberkärnten zweifellos durch seine Angliederung an Frankreich
große materielle Vorteile. Aber auch an Nachteilen fehlte es nicht.«271 Die Rekru-
tenaushebung und die Steuerlast hätten dazu geführt, dass der französischen Verwal-
tung mehr und mehr Missgunst entgegengebracht wurde.
Immer heftiger empfand man den Druck der Fremdherrschaft und es ist ein überaus eh-
rendes Zeugnis für unsere Oberkärntner, daß sie in der Stunde der Entscheidung den An-
schluß an ihre Volksgenossen suchten. Die Heimatliebe hat in den Tagen der Erhebung
ihre schönsten Triumphe gefeiert.272
Bemerkenswerterweise hat die Entwicklung dieses Narrativs in Krain bzw. den slo-
wenischsprachigen Landesteilen der Habsburgermonarchie eine gegenteilige Aus-
prägung erfahren. Peter Vodopivec gibt einen Eindruck von dem bemerkenswerten
gedächtnisgeschichtlichen Wandlungsprozess, den die Franzosenzeit in Krain bzw.
Slowenien hinter sich hat. So hat man trotz einiger rechtlicher und administrativer
Verbesserungen unter dem Großteil der Bevölkerung die Besatzung zwar negativ
erlebt, da sich die wirtschaftliche Lage nicht besserte und die Steuerlast der franzö-
sischen Behörden die formalen Verbesserungen mindestens kompensierte. Aber um
die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann sich im Zuge slawischen Emanzi-
270 Ebd., 131 f.
271 Ebd., 132.
272 Ebd., 133. Wenngleich diese Heimatliebe auf eine harte Probe gestellt wurde, als die österreichischen
Truppen im August 1813 in Villach einrückten. »Furcht und Schrecken verbreiteten sich in der Stadt,
denn so hatten sich die Villacher die Befreiung nicht vorgestellt. Viele Familien, besonders aus der
Lederergasse, mußten ihre Häuser verlassen, um ihr Leben zu retten.« Deren Wüten in der Stadt
hätten »die Villacher den Kaiserlichen nie vergessen.« Ebd., 134 bzw. 136.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353