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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis288
Der hier angesprochene Major Budik280 dient Sittenberger als Zielscheibe des Spotts
seiner Protagonistin, Wichtigtuerei und heillose Selbstüberschätzung werden ihm
als Vertreter des Kriegeradels schonungslos angelastet.
Die Franzosen sind also richtig schon bei Tarvis. […] Die unsrigen haben um Verstärkung
gebeten, Exzellenz Neugebauer hat aber geantwortet, daß er selber keine Soldaten habe.
Ich weiß nicht, warum er nicht den Major Budik hinschickt ; der hat den Buonaparte schon
so oft geschlagen, ohne daß es bis jetzt jemand gemerkt hat.281
Aber nicht nur die militärische Führung in der Person des Majors Budik wird Op-
fer der spitzen Feder der Protagonistin, sondern auch die Soldaten. Wird in der
gängigen Literatur die Tapferkeit und Heimatliebe der kämpfenden Truppen be-
tont, konterkariert Sittenberger diese Einschätzung. Als ungarische Rekruten in der
Klagenfurter Innenstadt von der Bevölkerung versorgt werden müssen und man ih-
nen Proviant und Kleider bringt, bemerkt Scholastica in ihrem Tagebuch zunächst :
»Aber wunderlich schauten diese Krieger aus, das muß man sagen ; etliche von ihnen
hatten gar Weiberröcke übergezogen, als ob sie auf eine Maskerade und nicht in den
Krieg gehen sollten.«282 Dann beschreibt die Jugendliche, wie auch der Assistent des
Vaters und Verehrer der Scholastica, Herr Jesse, sich an der Spendenaktion beteiligt.
[A]uf dem Heimweg hat er [Herr Jesse, Anm. d. Verf.] mir eine große Rede gehalten : von
dem Heldenfeuer, das aus den Augen der Pustasöhne blitze, von der großen Sache, der
sich alle opfern müßten, von den heiligen Gefühlen für Kaiser und Vaterland und der-
gleichen mehr. Da ist gleich das Widerspruchsteufelein in mir munter geworden und hat
gar boshaft zu kichern angefangen. ›Eia popeia, daß ich nicht lach’ !‹ hat’s mir zugewispert.
›Schau doch einmal die Ungarn in ihren Weiberröcken und Zipfelmützen an ; wie da die
Franzosen laufen werden ! Und das Feuer in ihren Blicken, wem hat’s wohl mehr gegolten,
den kärntnerischen Hauswürsten und dem Nußschnaps oder den Feinden, die noch so weit
weg sind ? Was glaubst du ? Und dann frag’ einmal den Herrn Jesse, warum er dem Vater-
lande nur seine Leibröcke, Westen und heiligen Gefühle darbringt und nicht auch seine
Knochen ?‹283
Sittenbergers Scholastica macht mit ihrer Kritik aber nicht bei den Militärs und Sol-
daten Halt. Auch die politischen Verantwortlichen werden als Feiglinge dargestellt.
280 Joachim Eichert vermutet hinter der fiktiven Figur des Major Budik den 1827 nach Klagenfurt gezo-
genen Bühnenautor Peter Alcantara Budik als Vorbild. Eichert, J.: Scholastica Bergamin (2009), 360.
281 Sittenberger, H.: Scholastica Bergamin (1940), 22.
282 Ebd., 16.
283 Ebd., 17.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353