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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis306
Dieser vermischt sich mühelos mit christlichen Elementen. In einem Brief an
den Mundartdichter Hugo Moro bezeichnete Perkonig sich selbst einmal als einen
»Narren in Christo, dem Herrn, und Pan, seinem Bruder«337. Nussbaumer charakte-
risiert diesen religiösen Zugang als eine »Synthese von christlicher Ethik und heid-
nischem Naturgefühl«338, fernab von Katechismus und Dogmatismus. Das religiöse
Gemeinschaftsleben stieß ihn ab, wie Nussbaumer bestätigt :
Den Katholizismus lehne er wie jede auf gegenseitige Nutznießung aufgebaute Gemein-
schaft als für ihn nicht maßgeblich ab. ›Achtung habe ich nur vor der Einzelnheit [sic !] und
ich kann mich darum auch nicht zum Dogma bekennen. Was die katholische Kirche von
Christus her an Forderungen besitzt, an starr gebildeten Normen, ist formuliertes Natur-
gesetz ; dem beuge ich mich. Hier bin ich gläubig und zur Nachfolge bereit.‹ Die Evange-
lien seien ihm heilig, Katechismus und Zeremonienlehre aber könnten ihm nichts bedeu-
ten. ›Eine Religion, die es notwendig hat, das innere Geheimnis durch äußere Formen so
bedeutsam zu unterstreichen, eben weil sie sich der Menge verständlich und annehmbar
machen will und muß, eine solche Religion hat kein Recht, die Anerkennung eines Ein-
samen zu fordern, der zwischen sich und Gott keine Vermittlung braucht. Hier liegen die
innersten Ursachen meines christlichen Pantheismus‹.339
Perkonigs Biograph Nussbaumer erläutert diese stark individualisierende, religions-
soziologisch gesehen eigentlich postmodern anmutende Haltung weiter :
Dem Dogma und dem kirchlichen Leben fernstehend, verehrte er die Lehre Christi in
dem Beispiel, das dieser durch sein Leben gegeben hatte, nach den Lehren der Bergpredigt
richtete sich sein ethisches Verhalten […]. Fromme Gebräuche aus seiner katholischen
Kindheit, liebe, von der Mutter her bewahrte Gepflogenheiten begleiteten ihn durchs ganz
Leben, katholische Heilige behüteten ihn auch. Er glaubte an eine göttliche Weltordnung
und an ihre ausgleichende Gerechtigkeit sowie an ein Weiterleben nach dem irdischen
Tode.340
Die Entwicklung eines religiösen Naturmystizismus »zwischen Heidentum und
Christentum« wird bei Perkonig durch seine Beschäftigung mit dem Werk und der
Freundschaft des steirischen Dichters Rudolf Hans Bartsch (1873–1952) angestoßen
und gefördert. Perkonigs Auseinandersetzung mit religiösem Gedankengut blieb
aber immer eng mit der Kärntner Landschaft und Natur verbunden, seine Heilands-
337 Josef F. Perkonig, zit. ebd., 94.
338 Ebd., 95.
339 Ebd., 223 f.
340 Ebd., 224.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353