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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
geschichten sind Heimatgeschichten, sein Kerygma ist Kärnten, »denn«, so Perko-
nig, »ich will ein Verkünder unserer Heimat werden, der guten, schönen Heimat.«341
So begegnen bereits in seinem Frühwerk religiöse Themen zuhauf, die großen
Fragestellungen der Menschheit werden aber stets vor dem Mikrokosmos Kärntens
und über Perkonigs eigenen religiösen Zugang abgehandelt. Die Versuchungen des
Herrn Heiland (1917) etwa erzählen von einem Bauernbub, der sich als »religiöser
Virtuose« berufen fühlt, der Menschheit Erlöser zu sein. Er studiert Theologie, um
sich dann von allen weltlichen Bindungen zu lösen und als Einsiedler an der Drau zu
leben. Er verfällt schließlich dem »Naturkind Magdalena, das nur seinen Launen und
Instinkten folgt, [und] in einem naiven Mischglauben den ›heiligen Pan‹ verehrt«342.
Die junge Frau wird ihm schließlich zum Verhängnis – »je leidenschaftlicher er Gott
suchte, desto näher kam er der Erde.«343 Biographische Anknüpfungspunkte drängen
sich förmlich auf. »Deutlich ist in dieser Novelle der Widerhall der eigenen Kämpfe
des Dichters zu verspüren, die gerade damals kritische Auseinandersetzung mit dem
Katholizismus, das Bekenntnis zu Pan und Christus, die hymnische Hingabe an Na-
tur, Landschaft und urchristliche Ideale und das wandlungsreiche innere Ringen.«344
Die angesprochene Auseinandersetzung mit dem Katholizismus geht auch aus
Perkonigs Abgrenzung zu »katholischen Dichtern« hervor. Kritischen Stimmen, die
seinem Roman Die stillen Königreiche (1917) eine allzu »schwüle Erotik« vorwarfen,
entgegnete er, ihm sei »die gesunde, selbstverständliche Sinnlichkeit lieber als ›jenes
chaotische Rasen gebändigter Triebe in den Büchern der katholischen Dichter‹.«345
Perkonigs Bild von Kirche und Klerus ist kein einseitiges. Ihm anhand seiner
Schriften unreflektierten Antiklerikalismus vorzuwerfen, wäre trotz seiner selbst be-
haupteten Kirchenferne unzureichend. Mitunter bemühte sich Perkonig regelrecht,
offenen Antiklerikalismus zu umgehen. »Wisch ich den Salzburger Domherrn eines
mit dem nassen Fetzen um die Ohren, leidet die Innigkeit und Durchklärtheit und
schielt leise nach Tendenz und Ärger gegen die Klerisei (was mir vollständig fern-
steht, denn Gott sei Dank stehe ich über dem Hader der Parteien)«346, schilderte er
bspw. Hugo Moro 1915 seine Überlegungen zur Konzeption eines Mozartromans.
Bei anderer Gelegenheit lässt er jedoch die Angst vor einem zu großen konservati-
ven Einfluss der Kirche in Österreich erkennen, weil dieses damit Gefahr laufe, dass
es »zu einer schwerwiegenden, verhängnisvollen Erstarrung käme, die Rom ein zu
großes Recht einräumen könnte.«347
341 Josef Friedrich Perkonig in einem Brief an Oswin Moro 1916, zit. ebd., 196.
342 Ebd., 134.
343 Ebd.
344 Ebd., 133 f.
345 Ebd., 113.
346 Josef Friedrich Perkonig in einem Brief an Hugo Moro 1915, zit. ebd., 131.
347 Josef Friedrich Perkonig in einem Brief an Hugo Moro 1916, zit. ebd., 87.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353