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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis310
nen Kompetenzen eingeschränkt wurde. In folgender Szene wurde der alte Pfarrer
für die Krankensalbung des sterbenden Sohnes gerufen. Vor einigen ebenfalls zur
Ausweisung befohlenen Dorfbewohnern entspinnt sich folgender Dialog :
Der Großvater (vermißt an dem Pfarrer die Gerätschaften für die Zeremonie des Verse-
hens). ›Der Bua möcht die Wögzehrung.‹
Der alte Pfarrer (bekümmert). ›Es tut mir leid, da müßt ihr euch schon an den neuen Pfar-
rer wenden.‹ (Leise.) ›Die Seelsorg’ ist mir verboten.‹
Der Großvater (mit Überwindung). ›Nacher liaber gar nit.‹
Der alte Pfarrer (mahnend). ›Es spricht der Herr : Wenn dir jemand auf die linke Backe
schlägt, so halte ihm auch die rechte hin.‹
Der Keuschler (grollt her). ›Der Herrgott war ka Kärntner.‹
Der alte Pfarrer. ›Schäm dich, Siebmacher, das ist eine Judasred.‹
Der Großvater (abwehrend). ›Aus die Händ vom neuen Pfarrer kan heilign Leib …‹
Der alte Pfarrer (begütigend). ›Er hat die Weihen wie ich, er ist ein Diener Gottes wie ich.‹
Der Keuschler (aufbrausend). ›Der Höll ihre Strafen über ihn.‹356
Als der junge Pfarrer die Bauernstube betritt, wandelt sich die gedrückte Stimmung
in eisige Kälte. Perkonig beschreibt den jungen Pfarrer als hochnäsigen Fanatiker,
der den offenen Konflikt sucht und zugleich die Heimattreue der Ausgewiesenen auf
die Probe stellt, indem er eidesstattliche Zusicherungen für die Volksabstimmung
erpresst.
Der junge Pfarrer (tritt herein ; ein Mann Ende der Dreißig, hager, mit einem mageren
Fanatikergesicht. Die Halbkugel seines weichen Hutes ist nicht eingedrückt. Eisige Stim-
mung liegt in der Stube. Der neue Pfarrer sieht lächelnd auf die Uhr. In seiner Sprache ist
ein leiser slawischer Einschlag zu spüren. Mit unterdrücktem Spott). ›Die Herrschaften
werden sich beeilen müssen ; um zwölf ist die Zeit aus.‹357
Eine erboste Antwort entspinnt einen konflikthaften Dialog, in dem der junge Pfar-
rer als heuchlerischer Landesverräter stilisiert wird.
Der junge Pfarrer (mit geheucheltem Bedauern). ›Was in meiner Macht steht, habe ich
getan.‹
Der [Landstreicher, Anm. d. Verf.] Zottel (anzüglich). ›Das glabn mir gern.‹
Der junge Pfarrer. ›Die Herrschaften hätten fügsamer sein sollen. Es ist eine neue Zeit, die
verlangt neue Manieren.‹
356 Ebd., 35.
357 Ebd., 37.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353