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311Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Der Keuschler (reißt sich vom Tischler mit Gewalt los, tritt mit flammendem Zorn vor
den Pfarrer hin). ›Du Hötzhund, du verfluachter, du blast dem Kommando die Namen ein.
Wöck mit die Gfährlichen ! Aus der Gemeinde mit die kärntnerisch gsinnten Starrschädl.
Kamot gmacht mit der Abstimmung. Die ganze Gemeinde könnts do nit auspeitschn. Die
paar Weibln, die sich die ewige Seligkeit erbetteln wolln, die wern’s Kraut nit fett machen.
(Er schlägt sich in rasendem Zorn mit beiden Fäusten auf die Brust.) Mir, mir sein Kärntn.
Uns biagt ka Gwalt, a nit die Höll.‹358
Der aufbrausende Keuschler wird vom Pfarrer mit verächtlichem Lächeln und abfäl-
liger Geste verhöhnt, worauf jener nun ein Messer zieht, den Pfarrer erstechen will,
von den anwesenden Dorfbewohnern aber gerade noch zurückgehalten wird. »Das
will a Geistlicher sein ? … A Geistlicher … So a Hötzhund …«359, sind die erbosten
Worte des Keuschlers.
Der junge Pfarrer unterbreitet der Bäuerin den Zwangsverkauf des Hofes –
durch die Flucht des Bauern kann das ausstehende Darlehen nicht mehr zurück-
bezahlt werden. In dieser Machtposition erpresst der Pfarrer nun die Bäuerin, bei
der Volksabstimmung für die Abtrennung der besetzten Gebiete Kärntens an Ju-
goslawien zu stimmen, wenn sie nicht delogiert werden wolle. Die Bäuerin wehrt
sich zunächst :
Die Bäurin. ›I verrat das Land nit.‹
Der junge Pfarrer. […] ›Man muß bei euch sehr viel Geduld haben.‹
Die Bäurin (ringt in dem Zwiespalt). ›I verschacher mei Stimm nit … Das is föst wia das
Amen …‹ (Nach einer kleinen Pause, in der er keine Absicht zu gehen zeigt, fest und ab-
weisend.) ›I man, mir sein fertig, Herr Pfarrer.‹
Der junge Pfarrer (kühl, als berühre ihn der Ton kaum). ›Ich glaube, noch nicht.‹ (Spöt-
tisch.) ›Das Land ist auch ohne Ihre Stimme verloren … So ist es nur eine selbstverständ-
liche Klugheit, wenn man sich denen anschließt, die stärker sind.‹ (Er tändelt fortwährend
mit dem Bleistift beiläufig nebenhin.) ›Besonders wenn der Nutzen so bedeutend werden
kann wie bei Ihnen.‹
Die Bäurin (rafft sich auf, in stolzer Zuversicht). ›I könn das Land und die Kärntner …‹
Der junge Pfarrer (spöttisch). ›Möglich …‹360
Der Pfarrer redet weiter auf die Bäuerin ein, droht mit Ausweisung des Großvaters,
dem einzigen der Bäuerin noch verbliebenen Familienmitglied, und weiteren Schi-
kanen. Im selben Moment, in dem sie schließlich doch einwilligt und unterschreibt,
358 Ebd., 38.
359 Ebd.
360 Ebd., 56.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353