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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis312
betritt der geflüchtete Bauer die Szenerie. Er war illegal über die Demarkationslinie
zurückgekehrt, um den Sohn, der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben ist, noch
einmal zu Gesicht zu bekommen. Er reißt dem Pfarrer den unterschriebenen Eid
zur Abstimmung aus der Hand und zerfetzt ihn. Der Pfarrer droht erneut mit der
Delogierung und Verhaftung des Bauern. Dieser hebt zu einem patriotischen Kom-
mentar an :
›Haus und Hof hin … Die Bauersleut auf’n Bettlerstab … Der Bua tot … Nirgends ka
Zuaflucht … A harts, fremds Brot … (Laut frohlockend.) Aber das Land biegt si nit … Die
Hamat bleibt deutsch … Und ganget’s jödn Kärntner wia mir, bliebet jödn bloß das Hemd
auf’n Leib, das Land verratet kaner, das Land, (mit besonderem Nachdruck) für das mir
gebluatet habn. Mir Kärntner bleibn beisammen in alle Ewigkeit.‹
Die Bäurin (fest). ›Amen.‹361
Der junge Pfarrer wird des Hauses verwiesen und wenig später vom Großvater auf-
gelauert und gewürgt, er überlebt aber. Bauer und Bäuerin bitten den alten Pfarrer,
der ebenfalls ausgewiesen wird, zur Einsegnung des verstorbenen Sohnes und der
Magd, die mittlerweile tot im Teich gefunden wurde. Nach einigem Zaudern (»ohne
kirchliche Kleidung und Gerätschaften … Die Sakristei ist versperrt …«362) willigt
dieser ein. Das Schicksal des in den Wahn getriebenen und aus dem Land verwiese-
nen Großvaters bleibt offen.
Perkonig selbst bezeichnet in seinem Vorwort zu Heimsuchung das Stück als »kul-
turhistorische Erinnerung in Kärnten«363 und versichert, es »rettet getreu die un-
verfälschte Stimmung«364. Insofern kann man die hier hervorgehobenen Aspekte der
Beziehung zwischen politisiertem Klerus und Bevölkerung durchaus als – freilich
literarisch aufbereitetes – Abbild der Situation dieser Jahre sehen, zumindest so, wie
Perkonig sie als Kriegsberichterstatter wahrnahm.
In den meisten Dörfern vergaßen die slawischen Pfarrer ihres eigentlichen Amtes und ent-
würdigten sich zu politischen Brandschürern. Ein großer Teil des Unheils, besonders in
den Uranfängen, ist unstreitbar ihr trauriges Werk. Wo Priester wahrhaft nur Gottes Die-
ner zu sein sich bemühten, litten sie nicht minder unter dem Unrecht.365
361 Ebd., 62.
362 Ebd., 68.
363 Ebd., 7.
364 Ebd., 5.
365 Ebd., 9.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353