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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Es stieg im Laufe der Jahrhunderte viel fremdes Volk über diese Berge, Römer zogen in die
erste Schlacht mit Germanen, die auf kärntischem Boden gekämpft wurde, die türkischen
Mordbrenner brachen über die Engpässe herein, die Soldaten Napoleons kamen von den
venetischen und lombardischen Schlachtfeldern, die österreichische Front gegen die Italie-
ner lag hier, und zuletzt nahmen auch die Südslawen ihren Weg über das Gebirge. Es hat
viel glühende Gesichter gesehen und hörte wilde Herzen schlagen, fremdes Blut tropfte auf
seinen Stein, und die Begierden von Eroberern kreisten über ihm wie dunkle Raubvögel ;
[…].371
Als Former des kulturellen Gedächtnisses des Landes wurde Perkonig in den 1930er
Jahren für die Propagandeure der ständestaatlichen Österreichideologie genauso
interessant wie für die nationalsozialistischen Phantasien vom Dritten Reich. Der
Dichter und Schriftsteller verstand es offenbar geschickt, beiden Interessenlagern
gerecht zu werden – ein nicht unwesentlicher Faktor für seine Ernennung zum
»Volkspolitischen Referenten« für Kärnten im Oktober 1937.
Nach dem Juliabkommen 1936 zwischen Schuschnigg und Hitler wurden in der
Vaterländischen Front »Volkspolitische Referate« eingerichtet, die Mitglieder der
»nationalen Opposition« – eine verharmlosende Bezeichnung für den Nationalso-
zialismus – in die politische Verantwortung miteinbeziehen sollten. Schuschnigg
meinte, damit die angespannte Situation beruhigen zu können, tatsächlich war es
aber eine legale Eintrittspforte für Nationalsozialisten in die Regierungspolitik. Er
betraute Arthur Seyß-Inquart im Juni 1937 mit der Aufgabe, geeignete »Volkspoli-
tische Referenten« heranzuziehen. Seyß-Inquart gehörte zu jenem Flügel innerhalb
der Nationalsozialisten, der eine schrittweise legale Machtergreifung anstelle des
gewaltsamen Umsturzes im Auge hatte. Über diesen Weg war es nun die Aufgabe
Seyß-Inquarts, Personen zu finden, die beiden, also den Nationalsozialisten und der
Vaterländischen Front, ins Konzept passten. Perkonig konnte sich als Kompromiss-
kandidat sowohl gegen den späteren Gauleiter Friedrich Rainer als auch gegen den
Nazifunktionär Alois Maier-Kaibitsch durchsetzen.372
Perkonig war in der Zeit des Ständestaates Parteigänger, hatte diverse regionalpo-
litische Funktionen inne und 1935 den »Großen Österreichischen Staatspreis für Li-
teratur« erhalten. Landeshauptmann Hülgerth hatte im Zuge dessen die Regierung
in Wien einer »vorbildlich staatstreuen«373 politischen Haltung Perkonigs versichert.
Dennoch setzten die Nationalsozialisten auf ihn. Klaus Amann macht plausibel, dass
dies »zu einem guten Teil etwas mit Perkonigs Rolle als Propagandist und Ideologe
des Kärntner ›Abwehrkampfes‹ von 1919/20 und mit seiner Funktion als langjähri-
371 Perkonig, J. F.: Kärnten, deutscher Süden (1943), 3.
372 Amann, K.: Der Wort-Führer Kärntens (1989), 36.
373 Ebd., 36.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353