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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis326
Und die hab ich auch gefunden, die BH hat uns zammgebunden. Bin nix mehr im großmächt-
gen Stift, Dein Brief in Klagenfurt mich trifft, Oktoberstraße, Lehrerheim (Die Hausnummer
24 geht nicht auf den Reim), oder auf meiner Hütten in Viktring, ich hoff, daß mir die Zukunft
a bessere bringt ! Hab mit Weib und Kind mein Sorg und Freud, grad so wie alle andern Leut.
Dies tu ich allen wohlgesinnten Freunden und Gönnern frei verkünden. Mitten im lieben
Kärntnerland als freier Maler im Lodengewand. Viktring, im Herbst 1932.409
Die Andeutung von »Sorg und Freud« mit »Kind und Weib« lässt die folgenden
tragischen Ereignisse vorausahnen : Die Geburt des Kindes und wohl auch der Klos-
teraustritt Lobissers hatten Evs gesundheitlichen Zustand rapide verschlechtert. Lo-
bisser erinnert sich :
Ihre Nerven waren zerrüttet. Beim Brustgeben wurde sie bleich, fing an zu schwitzen ;
das Kind mußte mit der Flasche weiter aufgezogen werden. […] ›Ich bin‹, sagte sie, ›nur
äußerlich schön, inwendig ist alles voll Fäulnis und Eiter. Alles, was gut an mir war, hat der
Herrgott dem Kind gegeben.‹410
Lobisser ehelichte seine Ev noch im November desselben Jahres – standesamtlich, da
eine Verheiratung nach seiner Versetzung in den Laienstand kirchenrechtlich nicht
möglich war. Selbst das konnte aber das Fortschreiten der Krankheit Evs, die unter
zunehmenden Weinkrämpfen und Zwangsvorstellungen litt, nicht mehr aufhalten.
»In einem unbewachten Augenblicke, als wir eben daran waren, wieder zum Arzte
zu gehen«411, setzte sie ihrem Leben ein Ende – »sie wollte nicht, daß auch ich noch
an ihrem Leide zugrunde gehe, ihr selbst sei ohnehin nicht zu helfen«, erinnert sich
Lobisser. Ev wurde nur 31 Jahre alt.
Dieses Ereignis kann als ein Wendepunkt in Lobissers Leben gesehen werden. Der
Tod seiner Frau riss ein tiefes Loch in sein Leben. »Ihre Liebe war die Feder in mir«,
schreibt er, »ihr Andenken in der Gestalt meines Kindes ist es heute noch, die Feder,
die die Uhr treibt, auf daß der Zeiger noch immer zur rechten Zeit richtig weist.«412
Im Haus des Unglücks wollte Lobisser nicht länger bleiben, verkaufte es und bezog ein
Häuschen am Fuße des Kreuzbergls, in jener Straße, die heute als »Lobisserweg« nach
dem Künstler benannt ist. Evs Schwester, Aurelia Bleymaier, nahm sich zunächst des
Kindes an.413 1938 wird Lobisser Relli Bleymaier aus Dankbarkeit heiraten.414
409 Bäumer, A.: Switbert Lobisser (1996), 11.
410 Lobisser, S.: Das Lobisserbuch (1941), 107.
411 Ebd., 108.
412 Ebd., 96.
413 Ebd., 110.
414 Ebd., 128.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353