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Zusammenfassung und
Ausblick346
Mit der Einrichtung von Missionsstationen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts
förderte man einen subtileren, dauerhaften Konfessionalisierungs- und Sozialdis-
ziplinierungsdruck, der über Mittel der bürokratischen Kontrolle und Förderung
der Denunziation sowohl das dörfliche Gemeinwesen als auch das Privatleben der
Untertanen berührte. Seelsorger, die dem Ideal des Reformabsolutismus nach als
»Guter Hirte« auftreten sollten, wurden damit vollends zu Spitzeln des Staates.
Eine Öffnung dieses rigiden Systems führte das Toleranzpatent Josephs II. herbei,
dessen eingeschränkte Religionsfreiheit in den Jahren der französischen Adminis-
tration Oberkärntens von 1809 bis 1813 noch stärker liberalisiert wurde. Zahlreiche
Übertritte vom Katholizismus zum Protestantismus während dieser Jahre deuten an,
dass der französische Gesellschaftsentwurf die liberale Gesinnung in jenen Gebieten
gefördert haben dürfte. Entgegen der offiziellen Erinnerungskultur wurde folgerich-
tig die Wiedereingliederung Oberkärntens in das Habsburgerimperium nicht von
allen Bevölkerungsteilen als positiv erlebt.
Der Beginn des 19. Jahrhunderts kennzeichnet auch das Erwachen des Nationalbe-
wusstseins. Im Konstrukt der Nation erhielten die Kirchen hinsichtlich ihrer Sinnstif-
tungsfunktion nun eine mächtige säkulare Konkurrentin, deren identitätssicherndes
Merkmal nicht mehr die Konfession, sondern die Sprache ist. In Kärnten stellte sich
der Konflikt zwischen deutschsprachigen und slowenischsprachigen Bevölkerungs-
teilen als eine Etablierte-Außenseiter-Figuration dar, in deren Kontext die katholi-
sche Kirche bzw. ihre Vertreter zunehmend als »deutschfeindlich« oder »slawophil«
wahrgenommen wurden. Dieser Umstand beruht auf der Tatsache, dass die Elite der
stark ländlich geprägten slowenischsprachigen Bevölkerungsteile aus Klerikerkrei-
sen stammte und das slowenischsprachige Nationalbewusstsein zu einem Gutteil von
Klerikern entworfen und getragen wurde. So spitzte sich der Nationalitätenkonflikt
in Kärnten dementsprechend zu und fand ihren vorläufigen Höhepunkt in der »Pfaf-
fenhetze« im Kontext des Kärntner Abwehrkampfes, wo Kleriker als »Hetzpfaffen«,
die für den SHS-Staat werben, wahrgenommen und verunglimpft wurden.
Die aufgebrochenen Konfliktlinien ließen sich auch in der Ersten Republik kei-
neswegs kitten, sondern wurden durch die ökonomischen und politischen Krisener-
fahrungen weiter verschärft. Sie führten schlussendlich zu jenem politischen Klima
des »Christlichen Ständestaates«, das so vielen Kärntnern und Kärntnerinnen als
erneute Gegenreformation erscheinen musste. Die traumatisierenden Erfahrungen
aus der Zeit des konfessionellen Absolutismus fanden augenscheinliche Parallelen in
der Zeit des »Austrofaschismus« :
– Das Bekenntnis zu anderen Konfessionen bzw. politischen Überzeugungen wurde
als Angriff auf die Staatssouveränität empfunden und kriminalisiert ;
– öffentliche Beschämung, sei es durch inquisitorischen Bekenntniszwang oder die
Aufstellung von Putzscharen, wurde als legitimes Mittel zur Disziplinierung ein-
gesetzt ;
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353