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87Das
Konfessionelle Zeitalter
Mit der Planung der Rekatholisierungsmaßnahmen135 wurde der Lavanter Bischof
Georg Stobäus betraut. Der Landesfürst berief 1587 eine Religionsreformations-
kommission ein, die unter Ferdinand II. erstmals 1599 und 1600 unter militärischem
Schutz durch die Steiermark zog. Die Kommission setzte sich aus dem Bischof Mar-
tin Brenner von Seckau, dem Gardehauptmann, dem Landeshauptmann und dem
Vizedom zusammen. Am 1. Juni 1600 sollten auf Weisung Ferdinands II. in Kärnten
alle Prediger und Schulmeister in Klagenfurt ausgewiesen werden. Die Kommission
zog durch das Murtal in den Lungau und traf im September 1600 in Gmünd ein,136
wo sich die Bevölkerung der umliegenden Dörfer zu versammeln hatte und nach
intensiven, oft mehrstündigen Predigten einen Eid auf den Katholizismus schwören
oder auswandern musste. Wer sich widersetzte, wurde unter Prügelstrafen und in Ei-
sen gelegt von den Musketieren dazu gezwungen. Insgesamt wurden in Kärnten vier
Kirchen zerstört, darüber hinaus eine große Zahl an Bethäusern,137 die aus Furcht
vor dem Besuch der Kommission zum Teil von den Bauern selbst zerstört wurden.138
Auf dem 70 Tage langen Zug durch Kärnten gelangte man in 200 Kärntner Ort-
schaften.139 Die Kommission zog durch das Drautal, ins Möll- und Gailtal, ins Gurk-
und Glantal, ins Lavanttal und schließlich nach Klagenfurt.140 Größeren Widerstand
leisteten die Bewohner in Völkermarkt, am massivsten war er allerdings in Villach
und Klagenfurt. Hier trat die Bevölkerung der Kommission bewaffnet entgegen und
verweigerte den Gehorsamseid in Religionsfragen. Die Kommission schloss darauf-
hin lediglich einige evangelische Einrichtungen.141
Nachdem der erste Kommissionszug wenig Erfolg gezeitigt hatte – »viele hatten
sich als katholisch erklärt, waren aber innerlich Protestanten geblieben«142 –, zog
man 1604 noch einmal vier Monate durch Kärnten. Bischof Brenner predigte stun-
denlang und ließ Gebets- und Erbauungsliteratur verteilen. Schließlich wurde in
Klagenfurt ein Jesuitenkolleg errichtet und die evangelische Dreifaltigkeitskirche als
135 Einen Überblick dazu gibt Tropper, P. G.: Rekatholisierungsmaßnahmen (2011).
136 Höfer, R. K.: Gegenreformatorische Maßnahmen (2011), 205 f.
137 Zwar wurden in der Steiermark im Verlauf der Kommissionszüge weitaus mehr Kirchenbauten zer-
stört als in Kärnten. Das hat seinen Hintergrund jedoch in der Tatsache, dass aufgrund der nahezu
flächendeckenden Ausbreitung des Protestantismus in Kärnten kaum Kirchenneubauten nötig waren,
da die alte kirchliche Infrastruktur »umgewidmet« und genutzt wurde. Leeb, R.: Reformation (2000),
222.
138 Höfer, R. K.: Gegenreformatorische Maßnahmen (2011), 205 f.
139 Leeb, R.: Reformation (2000), 222.
140 Für eine detaillierte Beschreibung inklusive Kartenmaterial zu den Stationen der Religionsreformati-
onskommission unter Bischof Martin Brenner siehe Höfer, R. K.: Martin Brenner (1994), 26 und 31.
141 Höfer, R. K.: Gegenreformatorische Maßnahmen (2011), 205 f.
142 Ebd., 207.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353