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115Das
Nationale Zeitalter
Einer der Hauptpropagandeure dieser Ideologie war Georg von Schönerer, »der
große Verderber der österreichischen Politik«283 und Gründer der Alldeutschen Be-
wegung. Seine antikatholische, antislawische und antisemitische Bewegung blieb
zwar eine vergleichsweise kleine, ihre populistische Gangart machte sie aber insbe-
sondere in der bürgerlichen Bildungsschicht – bei Studenten und Professoren, Ärz-
ten und Apothekern – sehr beliebt und so breitete sie sich über diese Multiplikatoren
auch in Kleinstädten und Märkten aus.284 Das Ziel der Alldeutschen um Schönerer
war die Befreiung aller Deutschsprachigen aus dem »Völkerkerker« der Habsbur-
germonarchie. Mit radikalen Forderungen und provokantem Auftreten schaffte es
die ursprünglich als Randphänomen im politischen Spektrum entstandene Bewe-
gung rasch, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hinter der Taktik der politischen
Destabilisierung standen die ideologischen Grundlagen eines fanatischen, rassisch
begründeten Antisemitismus und eines dezidierten Antiklerikalismus bzw. Antika-
tholizismus.285
Schönerers Bewegung sah in der katholischen Kirche und ihrer übernationalen
Position ein Hindernis für den Nationalismus allgemein und das Deutschtum im Be-
sonderen, seien doch die Slawen im Klerus überproportional vertreten. In Kärnten
wurde diese Verbindung besonders angefeindet, wie folgender Zeitungsbericht der
liberalen Neuen Freien Presse aus dem Jahr 1867 illustriert :
Ist es doch die Geistlichkeit in Kärnten und Krain, welche über alles Deutsche das Ana-
thema ausgesprochen und die Bauern in den Slovenismus gehetzt hat. Die großen Slove-
nenführer hätten ohne die mächtige Beihilfe der Kirche nichts durchgesetzt, aber von der
Kanzel herunter hat man gegen das Deutschtum gepredigt und den Bauern, welche ihre
Kinder nicht Deutsch lernen ließen, den Himmel, ja noch mehr, wohlfeiles Salz verspro-
chen. Wenn der Bauer begriffsstützig war und nicht mehr glauben wollte, daß Deutsch und
Satanas eins und dasselbe seien, das eine Argument hat ihn immer überzeugt, dass [sic !] ja
das Steueramt deutsch sei.286
In diversen Propagandablättern wurde das Feindbild des antinationalen, slawophilen
Klerikers gezeichnet und Schmähungen über sexuelle Verfehlungen von Pfarrern
und Mönchen artikuliert. Aber auch kirchenintern konnte man mit Antiklerikalis-
mus Anhänger werben, allen voran bei jungen, reformwilligen Kaplänen, die unter
der straffen, vom Ultramontanismus gestärkten Hierarchie litten.287
283 Ebd., 13.
284 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 39.
285 Hribernig-Körber, V.: Mentalitäten (2008), 5 f.
286 Daniel Spitzer, zit. in Moritsch, A.: Nationale Differenzierungsprozesse (2002), 323.
287 Trauner, K.-R.: Die Los-von-Rom-Bewegung (1999), 222 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353