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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«164
antikirchlicher Austrittspropaganda zu diesem Zeitpunkt sehr wohl schon bewusst,
wie folgender Bericht aus Glanegg zeigt :
Trotzdem die Pfarre an den gefährlichen Agitationsherd Feldkirchen angrenzt, haben die
Nationalsocialisten hier nicht durchdringen können. Bei der letzten Nationalratswahl
erhielten sie von 555 Wahlberechtigen 16 Stimmen, bei der Bauernkammerwahl von 84
Wahlberechtigten 3 Stimmen. Bürgermeister und Lehrer sind nicht nationalsocialistisch
eingestellt, nur einige junge Bauern und Bauernsöhne. Von letzteren ist einer ein eifriges
Mitglied des Kirchenchores.161
Während es in den Landpfarren noch keine bemerkenswerten Austrittswellen gab,
kann dies für die Zentren der nationalsozialistischen Bewegung, wie es Villach zwei-
fellos war,162 nicht behauptet werden.163 Im Herbst 1933 kam es dann zu ersten Aus-
einandersetzungen. Vandalenakte gegen kirchliche Gebäude164 und eine Rauferei
zwischen Sturmschärlern und Nationalsozialisten in Klagenfurt stehen im Zusam-
menhang mit ersten Massenaustritten.
Bisher ist dem Stadtpfarramt nur bekannt, dass früher am Tage der Aufhebung der SS ein
Führer der Nationalsocialisten abgefallen ist, der lutherisch verheiratet mit lutherischer
Kindererziehung [ist]. Vom Hörensagen vernahm ich, dass in St. Veit wegen der Rauferei
am 24. Oktober zwischen den Luegerbündlern und Nationalsocialisten (wobei auch eine
Frau, die sich hinein mischte, einige Schläge abbekam) circa 20–28 abgefallen sein sollen.
161 Oberluggauer, A.: Bericht über Abfallsbewegung Pfarramt St. Urban ob Glanegg (27.07.1933). Ähn-
liches kann der Pfarrer von Hüttenberg berichten : »Das gefertigte Pfarramt kann mit Genugtuung
berichten, dass zwar wohl auch bis hieher die Wellen des Versuches, als Gegenmaßnahme auf das
scharfe Vorgehen gegen die staatsfeindlichen Aktionen der Nationalsozialisten der ›Schwarzen Regie-
rung‹ die Anhänger dieser Partei zu bewegen, aus der kath. Kirche auszutreten, gegangen sind, doch
scheinbar ohne Erfolg. Wenigstens bis heute sind keine Austrittserklärungen von der pol. Behörde
dem Pfarramt angezeigt worden.« Granig, G.: Abfallsbewegung Pfarre Hüttenberg (19.08.1933).
162 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 76–79.
163 Der Pfarrer der Villacher Stadtpfarrkirche St. Martin berichtet Mitte August 1933 : »Infolge der
nationalsozial. Propaganda sind 12 Personen, meistens Jugendliche aus der kath. Kirche ausgetre-
ten«. Haag, K.: Monatlicher Apostasie-Ausweis Pfarre St. Martin in Villach (19.08.1933). Bereits drei
Wochen zuvor hatte der Stadtpfarrer seine Bemühungen geschildert : »Der ergebenst Gefertigte hat
die Abgefallenen […] aufgesucht ; dermalen läßt sich jedoch nichts erreichen, da die Erbitterung u.
Verletzung zu groß ist.« Haag, K.: Pfarre St. Martin in Villach (27.07.1933).
164 »Im Monate September hat sich nichts Neues ereignet, als daß vom 3. auf den 4. nachts um 10 h ein
Fensterbalken durch Steinwürfe zertrümmert und um 1/2 3 h früh 2 Fenster in meiner Abwesenheit
eingeworfen wurden.« Dillinger, J.: Abfallsbewegung [Pfarre Greifenburg] (02.10.1933). Die Pfarr-
kirche und die Friedhofskirche standen dann zeitweise unter Bewachung, wie Dillinger, J.: Abfallsbe-
wegung [Pfarre Greifenburg] (02.12.1933) berichtet.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353