Seite - 170 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 170 -
Text der Seite - 170 -
Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«170
Autorität gemäß den päpstlichen Rundschreiben entwickelt. Achtung vor der Autorität hat
die Kirche stets gelehrt.179
Hefters Predigt wiederholt im Großen und Ganzen die Position des Weihnachtshir-
tenbriefes in eigenen Worten ; manche Stellen lassen aber Rückschlüsse darauf zu,
welche Inhalte in der Kärntner Bevölkerung auf besonders große Ablehnung gesto-
ßen sein dürften.
Man war da und dort darüber erregt, daß bei diesem Anlasse manche gesetzliche und auch
wirtschaftliche Maßnahmen der Regierung für die Allgemeinheit anerkannt wurden. Die-
ses Aufzählen solcher Maßnahmen ist als eine Mahnung anzusehen, in der Hitze politi-
schen Streites nicht auf eine gerechte Würdigung von Taten für die Allgemeinheit zu ver-
gessen. Wenn aber jemand hinsichtlich dieser oder jener Maßnahme aus diesen oder jenen
Gründen anderer Meinung ist, so ist das seine Privatsache ; diese Dinge haben ja mit dem
katholischen Glaubensinhalt an und für sich nichts zu tun. Also auch hierin liegt kein Anlaß
zur Erregung.180
Es waren jedoch eben diese Maßnahmen,181 die von den Österreichern und Ös-
terreicherinnen, und damit gewiss auch von den Kärntnern und Kärntnerinnen
so wahrgenommen wurden, wie Ernst Hanisch es formulierte : »Ein katholischer
Kulturmief, gespreizt und gravitätisch, moralisierend und pathetisch machte sich
überall breit.«182 Während man also in weiten Kreisen »anderer Meinung« war, was
Hefter als mehr oder minder legitime »Privatsache« abtat, so verwehrte sich der
Kärntner Bischof in seiner Silvesterpredigt gegen den Vorwurf, die Kirche würde
Übergriffe der Regierung auf politische Oppositionelle decken.183 In seinen weiteren
179 Hefter, A.: Hirtenworte zur Jahreswende (1933), 1–3. H. i. O.
180 Ebd., 1 f.
181 Konkret haben die österreichischen Bischöfe folgende Regierungsmaßnahmen belobigt : »Die ener-
gische Unterdrückung staatsgefährlicher Bestrebungen – ausgiebige Maßnahmen zum Schutz der
öffentlichen Sittlichkeit – segensreiche Vorkehrungen zur Hebung der wirtschaftlichen Not – weise
Verordnungen zum Wohle der Jugend und des Unterrichtes – die Wiederbelebung des religiösen
Geistes in Schule und Erziehung – die Reorganisation des Heeres in christlichem Geiste – das Kon-
kordat mit dem Heiligen Stuhle – die Riesenarbeit für eine neue Verfassung zum Wohle des Volkes –
der wiederholt bekundete Wille, eine berufsständische Gesellschaftsordnung in christlichem Geiste
zu schaffen […].« Innitzer, T. u. a.: Weihnachtshirtenbrief (1933), 5.
182 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 62.
183 »Wenn aber jemand sagt, es seien Mißgriffe, Übergriffe da oder dort einmal vorgekommen und die
Bischöfe hätten auch solche Maßnahmen gedeckt, und darüber sei eine große Erregung, dann möge
man zur Kenntnis nehmen, daß dies vollständig unrichtig ist. Denn im Hirtenbrief heißt es ausdrück-
lich : ›Einzelne Mißgriffe, vielleicht selbst ungerechtfertigte Übergriffe einzelner Organe können
vorkommen, sind zu bedauern und werden sicherlich nach Feststellung des Tatbestandes abgestellt
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353