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175Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
J. P. trat auf den Pfarrer zu und sagte ihm ›Ihre Funktion ist dem Vater des Verstorbenen
unerwünscht‹. Trotzdem ging der Gefertigte bis zum Friedhof, wo er entgegen den an-
geführten Bemerkungen von den Angehörigen des Verstorbenen erwartet wurde und die
Einsegnung im Eingange des Friedhofes und am Grabe in der gewohnten feierlichen Weise
vornahm. […] Während der Zeremonien drang zeitweise das Geschrei bis zum Friedhofe.
[…]
Es erübrigt noch festzustellen, dass in Ferlach gesprochen wird, eine Anzahl ›National-
sozialisten‹ haben schon vor einigen Wochen, beim letzten protestantischen Gottesdienst
teilgenommen, haben angeblich gedroht, im Falle der Verlesung des Hirtenbriefes aus der
Kirche auszutreten. Da infolge Abwesenheit des Herrn Kaplans die Verlesung bei keinem
Gottesdienste möglich gewesen ist, war ihnen dieser Vorwand weggefallen. Der ›Kirchen-
austritt‹ wurde angemeldet schon am Tage bevor die Silvester-Predigt des Herrn Fürstbi-
schofs zur Verlesung kommen sollte.195
Hatte man also auf Seiten der Austrittspropagandeure in der Verlesung des Hirten-
briefes den letzten Tropfen für das überlaufende Fass gesehen, suchte man dort, wo
die Verlesung nicht erfolgt ist, andere Anlassgründe. Ein solcher bot sich in den
ersten Jännertagen 1934 mit dem Bekanntwerden des Geheimerlasses vom Juli 1933,
der über oppositionell gesinnte Medien an die Öffentlichkeit gelangte und entspre-
chend propagandistisch ausgeschlachtet wurde. So berichtet zumindest das Kärntner
Tagblatt im Jänner 1934 :
Unter dem Titel ›Priester und politische Unduldsamkeit‹ brachte das ›Süddeutsche Tag-
blatt‹ am 9. Jänner in Fettdruck über zwei Spalten eine nach seiner Meinung sensationelle
Meldung : ›Der Fürstbischof von Gurk, Dr. Adam Hefter, hat einen Erlaß an die Seelsorger
seiner Diözese hinausgegeben.‹196
Die deutsche Tageszeitung sehe den Erlass »in der Angelegenheit des Denunzie-
rens« durch die Pfarrer als eine dringende »Notwendigkeit« und behaupte weiters,
dass die Bevölkerung auch von anderen Bischöfen – namentlich genannt wird der
Linzer Bischof Gföllner – eine Maßregelung ihrer politisch aktiven Priester fordere.
Im Bericht des Kärntner Tagblattes wird hingegen versucht, die Berichterstattung als
oppositionelle Propaganda zu entlarven. So habe
dieselbe Meldung auch die Grazer ›Tagespost‹ vom 10. Jänner und unter 11. Jänner auch
die Klagenfurter ›Freie Stimmen‹ mit der Überschrift ›Gegen die politische Unduldsam-
195 [Geramb, E.] : Abfallsbewegung Pfarre Ferlach (15.01.1934).
196 »Mißbrauch mit einem Geheimerlaß des f.-b. Gurker Ordinariates«, in : Kärntner Tagblatt (12.01.
1934), 2.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353