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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«178
Die Hoffnung auf ein biblisches »Augen-Aufgehen« der antikirchlich Agierenden
sollte ein frommer Wunsch bleiben. Zwar sind rein statistisch gesehen in der Folge-
zeit die Kirchenaustrittszahlen tatsächlich wieder gesunken.
Doch kann von einer mehr friedlichen Gesinnung der Pfarrangehörigen noch nicht ge-
sprochen werden. Man kann es hier nicht für möglich halten, daß das, was durch den Ju-
liputsch in greifbare Nähe gerückt zu sein schien, nicht noch verwirklicht werden könne.
Mit solchen Ideen steht auch die Abfallsbewegung im innigem [sic !] Zusammenhang, we-
nigstens hierorts.205
Nach dem fehlgeschlagenen Putsch wurden viele beteiligte Nationalsozialisten, so-
fern sie nicht nach Deutschland oder Jugoslawien fliehen konnten, verhaftet und
in den örtlichen Justizanstalten oder in einem der »Anhaltelager« interniert, de-
ren größtes und bekanntestes im niederösterreichischen Wöllersdorf lag.206 Über-
aus häufig ist aus den Zusendungen der Pfarrämter herauszulesen, dass die Inhaf-
tierung anstelle von Reue eine zusätzliche Verstärkung der ablehnenden Haltung
gegen Regierung und Kirche, also gewissermaßen eine zusätzliche Kränkung durch
Beschämung, auch unter den Familienangehörigen der Weggesperrten, mit sich ge-
bracht haben muss. Die folgende Zuschrift bestätigt die nur oberflächlich wieder
eingekehrte Ruhe, was die tatsächlichen Austritte betrifft. Hinter den Kulissen sah
man aber besonders unter den gescheiterten Putschisten und deren Angehörigen ein
eifriges Weiterarbeiten.
Im Monat November ist in hiesiger Pfarre von einem Abfall nichts bekannt geworden. Eine
Abfallsbewegung besteht aber unter den nationalsozialistisch eingestellten Pfarrkindern,
namentlich in jenen Familien in denen irgend ein Familienmitglied mit Freiheitsstrafen
belegt wurde.
Nach Aussage von Leuten aus hiesiger Pfarre, die aus Anlaß des Juliputsches in Klagen-
furt gefangengehalten wurden, ist dort von einem protestantischen Religionsdiener zum
Abfall gehetzt worden und gesagt worden, von katholischer Seite werde nichts für die Ge-
fangenen getan. Auch wurden in diesem Sinne Geschenke an die Gefangenen verteilt.
In das gleiche Horn bläst wahrscheinlich der protestantische Religionsdiener in St. Veit,
wenn er die arg betrogenen, mit Gott und der Welt zerfallenen Bauern in Weitensfeld zu
einem Hetzheimabend versammelt. Es wird sehr gut sein, hinter diese merkwürdigen Vor-
gänge mit stärkerem Licht zu leuchten und alles restlos aufzuklären.207
205 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (05.11.1934).
206 Bauer, K.: Die Anhaltehäftlinge (2013), 2.
207 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (04.12.1934).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353