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211Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
»Die Propaganda […] ist sehr heftig von Mann zu Mann, besser : von Frau zu Frau«363,
bemerkt Edgar Geramb aus der Pfarre Ferlach fast nebenbei. So habe eine gewisse
»M. W. […] sich sehr intensiv in der verbotenen NSDAP betätigt, erhielt dafür ihre
Strafe und macht für all dies die römisch katholische Kirche verantwortlich.«364
Die allermeisten namentlich genannten »Anführer« waren aber dennoch Männer.
Im Folgenden seien einige aus den zahllosen Auflistungen herausstechende Perso-
nen angeführt, wie etwa F. M. aus Braunsberg in der Pfarre Altenmarkt, der »beim
Juliputsch als Führer von Aufrührern tätig, dann geflohen«365 sein soll, B. S. aus
Heiligenblut – »einer der verbissensten Nazionalsozialisten«, der »wegen seiner po-
litischen Umtriebe schon einige Male verurteilt«366 worden sein soll –, der Pelztier-
züchter R. G. aus Eskurial [sic !] unter Straßburg, der sich »als fanatischer ganz un-
belehrbarer Nationalsozialist benommen und betätigt« und »deshalb wiederholt in
Haft genommen«367 worden sein soll, der »Rechtsanwalt Dr. P. aus Wolfsberg«368, der
Friseur F. G., – »[e]r war einer der Führer in der Hitlerbewegung in Winklern«369 –,
der Lehrer R. und die Lehrerin P. aus Arnoldstein,370 der Besitzer A. M. in Friesach,
»Haupthetzer sowohl politisch wie religiös, hatte Leute für den Abfall gemeldet,
die gar nie ihre Zustimmung gegeben, einzelne zwingt er förmlich«371, ferner der
24-jährige J. B., ein »nazischer Häftling aus den Julitagen«372, sowie der in Wolfsberg
aktive Krämer R. T., der »seit Aufleben der nationalsoz. Bewegung mitführend hier
tätig«373 war.
Obwohl in den bisherigen Kapiteln die Kirchenaustrittsbewegung vorrangig im
Zusammenhang mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Kärnten betrachtet
wurde, darf nicht verschwiegen werden, dass viele Menschen den Kirchenaustritt –
sei es als Konfessionswechsel oder in die Konfessionslosigkeit – auch aus entweder
anderen politischen Überzeugungen vollzogen haben oder aber gänzlich unpolitische
andere, einerseits profan-pragmatische, andererseits alternativreligiöse Gründe zum
Anlass genommen haben, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren. Sie sollen
zum Abschluss dieser Untersuchung in den Blick genommen werden.
363 Geramb, E.: Apostasien Pfarre Ferlach (29.02.1936).
364 Dorn, B.: Apostasie-Ausweis Pfarre Timenitz (03.01.1935).
365 Rudolph, P.: Apostasien Pfarre Altenmarkt (14.02.1936).
366 Nuschei, L.: Apostasie Pfarre Heiligenblut (09.03.1936).
367 Gußger, B.: Abfallsbewegung Stadtpfarre Straßburg (05.10.1934).
368 Sulzer, S.: Abfallsbewegung Pfarre St. Leonhard (24.07.1933).
369 Dörr, K.: Bericht über Austrittsbewegung Pfarre Winklern (20.08.1933).
370 Bayer, J.: Apostasiebewegung Pfarre Arnoldstein (25.07.1933).
371 Neuwirther, F.: Abfallsanzeige über den Monat August 1934, Dekanat Friesach (10.09.1934).
372 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
373 Millechner, H.: Abfall vom Glauben Theißenegg (01.07.1935).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353