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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis240
ken Gegensatz zur völkischen Literatur, mit der ihn allerdings seine Bevorzugung
des Irrationalen verbindet.«77
Das Singerlein trägt autobiographische Züge (»das war ich selbst«78) und spiegelt
die Popularität des historischen Romans wider, der in den 1920er und 1930er Jahren
erneut einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte.79 Dabei war die Veröffentli-
chung des Romans beinahe der Unsicherheit der jugendlichen Schriftstellerin zum
Opfer gefallen. Nachdem ihr die Hausleiterin geraten hatte, das Schreiben lieber
sein zu lassen und sie aus Enttäuschung das Manuskript in den Ofen steckte,80 musste
sie erst von der Sekretärin des Gästehauses überredet werden, es an den katholi-
schen Kösel-&-Pustet-Verlag in München zu schicken.81 Offenbar von der Qualität
des Geschriebenen überzeugt, schickte man von dort zwei Agenten nach Tirol, die
Viesèr einen Vertrag unterfertigen ließen. Der Verleger empfahl ihr ein Pseudonym,
das die junge Kärntnerin aus der Frömmigkeitstradition ihrer spanischstämmigen
Mutter und dem französischen Klang ihres Nachnamens, den sie wohl in der Anrede
durch die geistlichen Schwestern als »Mademoiselle Viesèr« vernahm, zusammen-
setzte.82 Für ihren Debutroman erhielt Viesèr beachtlich positive Kritiken. Infolge
guter Verkaufszahlen ermöglichte Kösel & Pustet dann auch die Übersetzung in 13
Sprachen.83 Mit dem Honorar kehrte die junge Schriftstellerin nach Klagenfurt zu-
rück, wo sie für sich und die beiden Brüder nun finanziell sorgen konnte.
Dem Singerlein folgte 1931 der Roman Der Gurnitzer, der während der Zeit der
Türkenkriege angesiedelt ist. Über den Leon-Verlag in Klagenfurt lernte sie den
ebenfalls schriftstellerisch tätigen Otto Aichbichler kennen. Aichbichler war, bevor
er den elterlichen Gutshof übernahm, Wetterwart am Sonnblick und schrieb an sei-
nem Roman Die Unfreien84. Die beiden heirateten und Viesèr-Aichbichler zog an
den Hof des Mannes nach Launsdorf. Aus der Ehe mit Aichbichler entstammten
drei Kinder.85
77 Westenfelder, F.: Genese (1989), 160 f.
78 Dolores Viesèr zit. in Müller, W.: Dolores Viesèr (2010), 617.
79 Abret, H.: Regionalgeschichte (2010), 633.
80 Welzig, E.: Leben und überleben (2006), 260.
81 Müller, W.: Dolores Viesèr (2010), 616 f.
82 Schuh, E.: Dolores Viesèr (2003), 690 f.
83 Welzig, E.: Leben und überleben (2006), 257. »Das Singerlein« hätte auch verfilmt werden sollen, was
allerdings nicht realisiert wurde. Ebd., 261.
84 Aichbichler, O.: Die Unfreien (1934). Aichbichler war es auch, der nach dem »Anschluss« als »Par-
teigenosse« das Vorwort zu Switbert Lobissers Autobiographie verfassen sollte. Aichbichler, O.: Zum
Geleit, 1941, 10–32.
85 Schuh, E.: Dolores Viesèr (2003), 691.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353