Seite - 248 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 248 -
Text der Seite - 248 -
Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis248
Überhaupt spielt die Natur – entsprechend dem neoromantischen Anstrich histori-
scher Romane in der Zwischenkriegszeit – in Hemma von Gurk eine zentrale Rolle, vor
allem in ihrer Beziehung zur Hauptfigur.109 Im Rückgriff auf die Kärntner Sagentra-
ditionen verleiht die Autorin der Natur Kärntens einen phantastischen Einschlag,110
in ihrer Schönheit, aber auch Urtümlichkeit und Schroffheit ist sie nicht nur Kulisse,
sondern auch »Mitspielerin«111 für die gottsuchende Hemma, die im tiefen Wald
oder an der »Furt der Klage« zur Gotteserfahrung gelangt. Die Welt »da draußen«
ist für jene, die die Botschaft des Christentums zu leben versuchen, hässlich und laut.
Dem gegenüber steht, noch über dem Ideal des Rückzuges aus dieser Welt in ein
Kloster, der Rückzug in die Einsiedelei, in die Natur.112
Neben diesem von Weltflucht und Naturmystik geprägten Bild bedient Viesèr in
ihrem Roman aber auch jenes vom Ständestaat so stark bemühte Bild der Eintracht
von Natur und Mensch und der Harmonie von Herrschen und Dienen. Dieser Ein-
klang von Natur und Kultur verwirkliche sich in Kärnten, das als »das karantanische
Himmelreich«113 geschildert wird, in dem die heilige Hemma als Wohltäterin wirkt.
Felder und Wiesen und Weinberge mit allem bunten Leben bäuerlicher Wirtschaft, den
Ställen voll Vieh, den Mühlen und Schmieden und Brechelstuben und Scheunen, mit dem
Volk der hörigen und freien Bauern auf Huben und Höfen. Wie alles gedeiht, wie alles
strömt und kreist im Lauf der Jahreszeiten !114
Es ist das kleine Paradies der heiligen Hemma, die »von allen Leuten geliebt und
gepriesen wurde«.
Sie steht mitten in der Fülle des lebensspendenden Erdsegens. Ihre heilige Pflicht ist es,
daß all die Vielen ihren Teil erhalten und nichts verlorengehe.
Und da ist die Burg, die vielen Menschen Heim und Zuflucht ist – die Stätte, an der sich
ihr irdischer Kampf um das ewige Heil ereignet. An ihr liegt es, daß Reinheit, Ordnung,
Frömmigkeit und Frieden allen beistehen, – daß sie an Leib und Seele bei ihr geborgen
seien.
Und die Kranken, die Waisen und Alten, die Armen und Reisenden warten auf ihre
Hilfe, die halbheidnischen Waldleute auf den Trost des Glaubens.115
109 Klenk, E.: Dolores Viesèr (1949), 123–125, die in diesem Zusammenhang das Thema »Heimatliebe«
erörtert.
110 Abret, H.: Regionalgeschichte (2010), 642–645.
111 Ebd., 645.
112 Ebd., 649.
113 Viesèr, D.: Hemma von Gurk, 1965, 206.
114 Ebd.
115 Ebd.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353