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253Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
land, ja auch Frankreich und Italien dieselbe Not litten. Doch ein Leichtes war es,
dem verzweifelten Volk Haß ins Herz zu reden.«129
Der Aufstand, den Adalbero von Eppenstein mit den Knappen gegen den Kaiser –
und damit gegen dessen treue Gefolgsleute Wilhelm und Hemma – anzettelt, könnte
die Leser und Leserinnen des Romans an den Juliputsch 1934 erinnert haben. Auch
hier handelte es sich um einen von langer Hand heimlich geplanten Aufstand gegen
die politische Zentralgewalt, auch hier griff man auf die Unterstützung aufgehetzter
Massen zurück. Im Roman dauert die Belagerung der Burg fünf Tage – ebenso lange
dauerte der Putsch in Kärnten –, bis die Aufständischen niedergeschlagen werden
konnten. Auch im Roman wird der Aufstand schlussendlich von zu Hilfe eilenden
Truppen beendet – in diesem Fall von den Herren von Friesach, Albeck und Diet-
richstein.130
Adalbero verkörpert nicht nur den charismatischen Volksverführer, sondern be-
dient sich in seiner Kritik am »System« (des Kaisers Konrad II.) auch des »Volk-
ohne-Raum-Mythos«131 :
›Seine Ziele sind nach Süden und Westen gerichtet, wo die beste Kraft unseres Volkes ver-
bluten und verkommen wird. Mich dünkt, ein deutscher König müßte nach Osten schauen.
Dort sind die Grenzen noch ungewiß, der Raum weit, die Feinde ohne Ausdauer. […] Wir
streiten uns mit den Franzosen und Italienern um einen Fußbreit Boden, indes sich im
Osten die Erde dehnt wie eine weite Wiege neuen Blutes ?‹132
Adalbero von Eppenstein ist aber nicht die einzige Figur, an der sich Anspielungen
an den Nationalsozialismus interpretieren lassen.
Eine weitere Figur mit deutlichen Konturen nationalsozialistischer Gesinnung
ist der Graf Rapoto, der »Großoheim« der Hemma von Gurk. Er wird als ein
Enkel sohn des Zwentibolch vorgestellt, jenem Vorfahren Hemmas, dem 898 von
Kaiser Arnulf von Kärnten der »Hof Gurk« (= Lieding) geschenkt wurde.133 Rapoto
erscheint bei Viesèr als grobschlächtiger Krieger, ein hartgesottener Raufbold, der
gerne die Waffen sprechen lässt, wie er im Gespräch mit seiner noch minderjährigen
Hemma klarstellt :
129 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 295.
130 Ebd., 308. Ein zweiter Aufstand endet dann allerdings fatal. Vielleicht kann dieser als dunkle Vor-
ausahnung des »Anschlusses« interpretiert werden : Diesmal werden auch die »einfachen Leute« zu
Aufständischen, haben sich die Feinde in die eigenen Reihen gemischt und können sich durch die
Verführung eines jugendlichen Mädchens Zutritt durch den Hintereingang verschaffen. Im Zuge
dieser Kämpfe werden Hemmas beide Söhne getötet. Ebd., 357–359.
131 Till-Spausta, B.: Hemma von Gurk (2006), 115.
132 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 263.
133 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 96.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353