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281Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
›O mei, i wüll gar nit eina in den katholisch’n Himmi mit dö vülln Halig’n, wo’s allweil
betet san ! – is mir eh vui z’fad !
›Und di brinnat’n Höllquall’n ?‹ warnte drohend der Flori.
›I brüll’ so lang’, bis er mi wieda außalaßt auß’n Fuier, der Oberteufi, und nach’n kugl i
mit die andern Gangerln’ in der Höll’n umeranand’‹, sagte der Bub […].251
In der letzten hier geschilderten Textpassage aus dem zweiten Teil des Buches be-
sucht der katholische Vetter in Anbetracht eines nahenden Ausweisungsbefehls für
die evangelisch gesinnte Familie den Ehemann der Hauptfigur Susanne, um ein An-
gebot des Landeshauptmannes zu überbringen. Dieser würde ihm das Amt eines
landständischen Rates verleihen, wenn die Familie katholisch würde. Der Vetter
argumentiert mit dem Treuebruch gegen die Heimat, den so viele ausgewanderte
Protestanten begangen hätten, weil sie nun an der Seite Gustav Adolfs gegen den
Kaiser und seine Verbündeten kämpften. Hier setzt die Gegenargumentation des
Ehemanns Hans Georg Nägerschnigg ein :
›Da ihr aber von Untreue sprechet gegen Kaiser und Heimat, muß ich Euch sagen, daß
Treue nur da gehalten werden kann, wo sie auch auf der Gegenseite geübt wird. Ihr wisset
es so gut wie ich, daß schon der verblichene Herr Erzherzog Karl, der Vater unseres Herrn
Kaisers Ferdinand, den evangelischen Landständen in Religionssachen mehr als einmal
sein landesfürstliches Wort gebrochen hat, und unser Herr Kaiser selbst ist wohl ein leut-
seliger Herr, aber er soll ein deutscher Fürst sein und nit ein Diener des Römischen Papstes
und nit ein willenloses Werkzeug in den Händen der Jesuiten ! – Wie kann er vom deut-
schen Volk und Adel eine deutsche Treue erwarten, da er doch selbst sie durch undeutsches
Wesen vernichtet ! – Er vermeinet nicht nur über Gut und Blut seiner Untertanen Herr
zu sein, er läßt durch die Jesuiten auch ihr Denken, ihr Seelenleben und ihren religiösen
Glauben knechten. – Wie kann ein aufrechter deutscher Mann solches ertragen ? !‹252
Die Bewertung eines Landesfürsten als »undeutsch«, solange er sich als Handlanger
der Kirche erweist, ist deutlicher Ausdruck des Zeitgeistes der 1930er und 1940er
Jahre und kann als Anspielung auf das politische System in Österreich vor dem »An-
schluss« gesehen werden.
Emilie Zennecks Glaubensstreiter ist Ausdruck einer zaghaften Auseinandersetzung
mit den Ereignissen der Gegenreformation im kulturellen Gedächtnis des Landes.
Im offiziellen gedächtnispolitischen Diskurs dominieren aber nach wie vor andere
Epochen der Kärntner Geschichte, allen voran Ereignisse, die mit klaren Feindbil-
dern arbeiten können, wie es der Abwehrkampf oder die Türkenzeit bieten. Die Zeit
251 Ebd., 220 f.
252 Ebd., 318.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353