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323Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
das gefundene Vorbild für jede weibliche Figur«407, schreibt er (vgl. Abb. 12, 13 und
14).
Der Umgang im Stift mit dieser Beziehung dürfte nicht einfach für die Entschei-
dungsträger gewesen sein. Mit Lobisser hatte man ja nicht nur einen ausgezeich-
neten Zeichenlehrer im Gymnasium, sondern auch einen kontinuierlich populärer
werdenden Künstler in den eigenen Reihen. Der Abt Richard Strelli galt als jemand,
der ihm gut gesinnt war. Als 1931 eine Reformkommission aus Rom die Beendigung
der Liebesbeziehung forderte, erbat Lobisser die Versetzung in den Laienstand. Sein
Gesuch charakterisiert anschaulich, wie er seine Situation wahrnahm :
Ich bin der Armut meiner Mutter wegen in eine geistliche Anstalt gekommen, von dort
automatisch in die Theologie gewandert, von wo ich ohne viel Bedenken, aber auch ohne
inneren Trieb in den geistlichen Stand hineingetappt bin. Den Verpflichtungen desselben
bin ich kaum jemals nachgekommen. Vor etwa zehn Jahren jedoch fing ich an, meinen
künstlerischen Beruf ernst zu nehmen und gut zu arbeiten. […] Auch hat man hier in St.
Paul die Voraussetzungen zu der besagten Art des künstlerischen Auslebens : die gewisse
Freizügigkeit und die hingebende Freude an allem Naturschönen und Naturrechtem, dul-
dend hingenommen. Dabei ist es naheliegend, daß ich auch bei der Krone der Schöpfung,
dem Weibe, nicht vorbeikam. Natürlich war dies für mich mit Schwierigkeiten verbunden.
Aber ich flirte nicht, ich bleibe vielmehr bei einer. Eva ist mir dann allerdings alles gewor-
den, was einem Menschen und einem Künstler ein gutes Weib sein kann.
Es ist klar, daß es unmöglich ist, daß ich mit meiner herausfallenden Tätigkeit und der
damit verbundenen Ausnahmestellung sowie mit der Liebe zu Eva mich in den Rahmen der
Reform einfüge. Deshalb bitte ich Euer Gnaden inständigst, mir zu erlauben, daß ich als
braver, stiller, andächtiger Maler an der Seite meiner Eva in der Welt draußen bei meinen
Bäumen, Felsen, Blumen, Kindern und guten, einfachen Menschen leben darf.408
Diesem Laisierungsgesuch Lobissers wurde stattgegeben und der Künstler verließ
1932 das Stift, um mit Ev nach Viktring zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt war sie
bereits schwanger. Nur wenige Wochen nach seinem endgültigen Austritt aus dem
Kloster kam am 8. August 1932 die gemeinsame Tochter Notburga zur Welt. »Bur-
gele«, wie Lobisser sie nannte, wird wie seine Frau Ev zum Modell für ein vielfach
wiederkehrendes Motiv seiner Kunst.
Lobisser verfasste auch eine originelle »Austrittserklärung« mit illustrativen
Zeichnungen. Sie zeigt nicht zuletzt, wie sehr sich Lobisser in St. Paul fehl am Platz
gefühlt hat (vgl. Abb. 15) :
407 Ebd., 96.
408 Ebd., 103.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353