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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis328
Rainer oder dem späteren Landeshauptmann Vladimir Pawlowski. Das Gedenkblatt
für Letzteren (Abb. 16) zeigt einen Teufel und einen Kleriker am unteren Blattrand
als Ausgangspunkt für die Dornenzweige, die sich um das Bildzentrum ranken, in
dem ein Gefangener – offensichtlich Pawlowski selbst – durch ein Zellengitter auf
eine Reihe von sehnsüchtig auf die Entlassung ihrer gefangenen Männer wartenden
Frauen blickt. Die erste in der Reihe winkt dem Gefangenen – es muss seine Frau
sein –, denn Lobisser erzählt im oberen Bildrand die Geschichte der beiden, dar-
gestellt durch kindliche Figuren (womöglich als Zeichen der Unschuld) : Im linken
oberen Bildteil verteilt die Frau als junges Mädchen Flugblätter, rechts schwingt der
junge Pawlowski Reden über den (mit einer strahlenden Hakenkreuz-Sonne symbo-
lisierten) Nationalsozialismus, in der Mitte überreicht der in Uniform dargestellte
Bub dem Mädchen eine Blume. Die Dornenranken, die von Teufel und Kleriker
ausgehen, verflechten sich unter ihnen zu einem Hakenkreuz.419
Der Historiker Gerhard Kleinhenn konnte zeigen, dass mit der politischen Be-
wusstseinsbildung Lobissers Ende der 1920er Jahre, vor allem aber mit der Errich-
tung des Ständestaates der Anteil sakraler Themen in Lobissers Fresken deutlich
zurückging, 1933/34 sogar gegen Null, vice versa jedoch der Anteil an profanen
Themen rapide anstieg.420 Noch deutlicher vollzog sich Lobissers Wende im Holz-
schnitt. Der politische Holzschnitt Lobissers hatte klar antiklerikale, teils auch
antisemitische Züge,421 war regierungskritisch und sympathisierte mit dem Natio-
nalsozialismus. Zugleich wandte sich Lobisser von ehemaligen Freunden und Weg-
gefährten ab, die im Dollfuß-Schuschnigg-System Karriere machten. Allen voran
war es der Kärntner Schriftsteller und Politiker Guido Zernatto, mit dessen Onkel
Lobisser die Schulbank drückte und zu dem er engen Kontakt hatte – bis zu dem
Zeitpunkt, an dem Zernatto 1934 in die Regierung Schuschnigg berufen wurde.
In seiner Autobiographie wird Lobisser Guido Zernatto, der ihm jahrelang Geld
schuldete,422 als »ganz aus dem durchaus völkischen Charakter der Familie heraus-
gefallenen Schuschniggmenschen«423 verunglimpfen.
Lobissers Sympathie für den Nationalsozialismus hingegen dürfte sich im Kontakt
mit persönlichen Leitfiguren verfestigt haben. Mit Ferdinand Kernmaier424 verband
ihn seit den 1930er Jahren eine enge Freundschaft. Kernmaier war von 1931 bis 1934
419 Ebd., 166.
420 Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996b), 27.
421 »Friedl Rainer, Danksagung«, 1936, Opus 349, Beschreibung in Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser
(1996a), 165 f. bzw. abgebildet in Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996b), 66. Vgl. auch Koschat,
M.: »Urgesund« (2017), 266 f.
422 Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996a), 22.
423 Lobisser, S.: Das Lobisserbuch (1941), 37.
424 Details zu Kernmaiers Rolle in der Erinnerungskultur Kärntens finden sich bei Koschat, M.: »Urge-
sund« (2017), 268–272.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353